Hauptgrund der jetzigen Reise war, dass unsere haitianischen Mitarbeiter ein Haus für die Mädchen gefunden hatten, das zu kaufen war. Selbstverständlich muss da einer vom Vereinsvorstand das Haus begutachten. Also flog ich hinüber.
Aus dem für die Jahreszeit noch sehr kalten Europa kam ich in die haitianische Sommerhitze. Sehr bald wanderten sehnsuchtsvoll die Gedanken zur kühlen Luft der Heimat. Nicht einmal nachts kühlte es genug ab.
Unser Fahrer und Helfer war es, der wieder das „neue“ Haus gefunden hat. Es gefällt auch allen anderen Verantwortlichen sehr gut. es muss entschieden werden, ob die HKH das Haus kauft. Die Lage ist sehr gut, die Straße ruhig und es ist nah an der Schule, die nächstes Jahr alle Kinder besuchen werden. Sie werden zu Fuß gehen können. Das ist ein großer Vorteil, wenn sie nicht gefahren werden müssen! Phébée und Maître Claude sind sehr glücklich darüber, dass das Haus, in dem die Mädchen wohnen sollen, weit genug von den Jungs weg ist, aber nicht zu weit! Hérold Toussaint freut sich darüber, dass es nicht weit von seinem Haus entfernt ist. Die Kinder können zu Fuß zu ihm.
Das Haus ist – wie fast alle solchen Häuser – vollkommen vergittert. Mich berührt es seltsam, aber die Maklerin macht mich sofort darauf aufmerksam, was es für ein Vorteil ist. Es ist für die Sicherheit absolut notwendig!
Das Haus ist größer als das der Jungs. Die Aufteilung der Zimmer ist ideal. Es ist in gutem Zustand und hat überhaupt keine Schäden beim Erdbeben abbekommen. Die drei Bäder sind schön. Es ist hell und freundlich. Auf der Vorder- und Rückseite ist ein kleiner Garten. Und der Preis stimmt. Wir haben viele Vergleiche, denn wir haben inzwischen viele Häuser besichtigt. Was will man mehr! Nachdem ich mich mit dem Vorstand besprochen habe, wird gleich ein Termin beim Notar ausgemacht. Dieser überprüft alles sehr sorgfältig und es sieht so aus, als würde der Kauf diesmal sehr schnell gehen.
Bald brauchen wir also keine Miete mehr zu bezahlen.
Wir haben mehrere pädagogische Sitzungen zu sechst mit unserer sehr guten Mannschaft! Und die Zusammenarbeit ist gut. Das ist bei den Jugendlichen, die wir betreuen, sehr wichtig, denn die meisten sind im schwierigsten Alter… abgesehen davon, dass viele sowieso nicht einfach sind, weil sie aus schlimmen Verhältnissen kommen. Da kann man nicht erwarten, dass alles reibungslos geht!
Einer hat seine Schreinerausbildung einfach abgebrochen. Ein anderer hat sich mit dem Konrektor seiner Schule gestritten. Bei den Mädchen gibt es welche, die sich gegenseitig Schwierigkeiten machen.
Wir besprechen die notwendigen Maßnahmen, die eventuell nötigen Sanktionen und auch die Organisation der Zeit nach dem Umzug der Jungs. Es muss jemand im Mädchenheim die Aufsicht haben, wenn Phébée nicht da ist und auch nachts. Bernadette, die zwei Monate lang letztes Jahr Maude vertreten hatte, wird es tun.
Während ich da bin, werde ich mit vielen einzeln sprechen. Alle wollen ein Einzelgespräch! Leider ist nicht genug Zeit für alle. Ich suche mir die aus, die Schwierigkeiten machen. Die Gespräche laufen gut.
Wir besprechen auch die Zukunft von C. Sie entscheidet sich dafür, bei dem Straßenkinderprojekt der Salesianer Nähen zu lernen. Da kann sie ihre Kleine in die dazugehörige Krippe geben und sie sogar zwischendurch stillen. Ich verspreche ihr, dass sie, wenn sie fertig ist, von uns das bekommt, was sie braucht, um ein Geschäft zu starten (Nähmaschine etc…). Wir haben viele im Container! Und Nähzeug auch.
Mit unserem Anwalt bespreche ich die Schritte, die für die Registrierung noch zu tun sind. Die haitianische Regierung hat es schwieriger gemacht und wir mussten zusätzliche Papiere abliefern, die früher nicht notwendig waren. Es ist aber jetzt alles da. Hoffentlich geht es voran!
Ich fahre mit Alain zu der kleinen Jungen-WG, die ab dem nächsten Schuljahr größer werden soll. Insgesamt werden es 10 große Jungs sein. Die vier, die jetzt da sind, sind toll. Sie arbeiten gut in Schule und Uni (einer studiert Jura), sind sehr bescheiden, höflich, dankbar und gar nicht fordernd, wie manch anderer! Sie sind nicht begeistert, aber einverstanden, als ich ihnen erkläre, dass sechs Jungs von Cité Soleil dazu kommen werden. Sie kennen sie schon. Ich hoffe, dass sie einen guten Einfluss auf sie ausüben werden und sage es ihnen auch.
Die Jungs aus Cité Soleil besuchen mich. Sie wollen alle aus dem Slum raus. Während meines Aufenthalts ist ein Bandenkrieg dort ausgebrochen. Sie haben Angst. Sie wollen auch unbedingt in eine andere Schule. In Cité Soleil fehlen die Lehrer oft, weil sie – berechtigterweise – Angst haben, in ihre Schule zu gehen. Zwei der Jungs werden eine Berufsausbildung machen.
Alain braucht dringend ein Auto. Er wohnt sehr weit außerhalb.
Ich treffe diverse Handwerker, denn am neuen Haus der Jungs muss die ganze Elektrik überprüft werden. Das Wassersystem auch. Die Umzäunungsmauer muss erhöht und mit Stacheldraht versehen werden. Ein großes Eisentor muss angebracht werden… Wir besprechen die Arbeiten. Die Handwerker werden ihre Kostenvoranschläge abliefern. Für die Eisenarbeiten soll auch S., der bei den Salesianern schweißen lernt, seinen Lehrmeister fragen. Dann kann S. an dem Tor „seines“ Heims mitarbeiten.
Pater Zucchi von den Salesianern sagt mir, dass wir jederzeit kommen können, um den Container auszuleeren, der bei ihnen schon einige Wochen steht.
Wir organisieren einen LKW und planen den Tag. Acht der Jungs nehmen wir mit. Es ist ein harter Tag. Es gibt keinen Schatten. So arbeiten wir unablässig in der prallen Sonne. Phébée und ich sortieren die Sachen, sobald die Jungs sie aus dem Container geholt haben. Alles ist nummeriert und steht in der Packliste. Wie gut das alles gemacht ist! Das, was wir mitnehmen, kommt sofort in den LKW. Das, was die Salesianer bekommen (alles „Medizinische“) kommt in eine Ecke und wird am Ende wieder in den Container getan. Und dann ist noch einiges, das vor Ort sortiert werden muss, um entscheiden zu können, wohin es kommt.
Es sind Schätze! Viele nagelneue Turnschuhe und auch andere Schuhe, Nähmaschinen, Möbel, Schulranzen, eine Waschmaschine, unendlich viele Säcke mit Kleidung, Fußballtrikots und Fußbälle… Es kommt im richtigen Augenblick. Wir können im Moment das meiste sehr gut brauchen.
Ist solch ein Container riesig!! Was da alles reinpasst. Der große LKW ist total voll.
Alles wird ins Haus der Jungs gefahren und dort ausgeladen. Chaos! Morgen werden wir hier räumen und sortieren, bevor übermorgen der Umzug ist. Berthony und 3 Jungs schlafen da. Man darf das Haus nicht mehr allein lassen mit dem ganzen Zeug drin.
Abends sind wir total kaputt.
Als erstes schicke ich die drei, die da übernachtet haben, zum Einkaufen, damit sie frühstücken können.
Wir haben beschlossen, dass alles, was nicht sofort gebraucht wird (viel Kleidung, viele Schuhe, die Nähmaschinen, die Schulranzen – bis zum Schuljahresanfang – etc…) erst mal im jetzigen Mädchenheim untergebracht wird, in einem gut abschließbaren Zimmer. In nächster Zeit wird im neuen Haus der Mädchen als allererstes ein Lagerraum geschaffen (wahrscheinlich ein Teil der „Garage“, der abgetrennt werden muss), der gut abschließbar ist und von den Kindern überhaupt nicht betreten wird. Dann kann alles dahin gebracht werden.
Eine Riesenräumerei!
Wir beschließen, der Schule von Audilon, die viele unserer Kinder besuchen, einige von den Campingtischen und -stühlen anzubieten. Ich habe ohnehin eine Verabredung mit ihm am Nachmittag.
Wir sortieren die Kleidung. Einiges wird den Salesianern wieder gebracht werden. Wir leeren auch die Schulranzen, denn sie sind voll mit Heften, Stiften etc…. Die Ranzen sind ein Segen. Die Kinder haben nur noch zerrissene Schultaschen. Sie werden gut ausgerüstet das nächste Schuljahr beginnen können.
Alles wird morgen vor dem Umzug der Jungs vom LKW am neuen Haus abgeholt, bei den Mädchen ausgeladen und dann werden die Sachen und Möbel der Jungs dort eingeladen und zum neuen Haus gebracht. Eine gute Organisation!
An meinem letzten Tag ist Umzug!
Voller Schwung tragen die Jungs alles in ihr neues Haus… und ich höre, wie es rumst: Beim Tragen der eisernen Bettgestelle passen sie überhaupt nicht auf und stoßen immer wieder an die Wände! Als ich komme, bricht gerade ein Eck aus einer Mauer. Da geht es mit mir durch! Ich kann sowieso nicht gut vertragen, wenn man nicht achtsam mit Sachen umgeht (was hier sehr oft der Fall ist), aber das neue Haus gleich beschädigen, das geht zu weit. Ich versammle sie und schimpfe kräftig. Sie sind ganz betreten. É. versucht mich zu besänftigen, indem er immer wieder ganz brav „ja, Claire!“ sagt. Da muss ich lachen. Wir werden viel Aufmerksamkeit darauf verwenden müssen, ihnen einen guten Umgang mit Sachwerten beizubringen. Winfried hatte mal bemerkt, dass man, wenn man im Slum aufwächst, kein Spielzeug hat, ständig im Dreck lebt, nicht lernt, aufzupassen. Er hatte recht.
Am nächsten Tag, bevor ich abfliege, komme ich ins Mädchenheim und rede lange zu ihnen.
Ich rede über Vertrauen und darüber, wie man Vertrauen zerstören kann – durch Lüge und Betrug zum Beispiel – aber auch darüber, wie Vertrauen wieder wachsen kann. Sie hören wirklich sehr aufmerksam zu. Es ist eine gute Stimmung. Eine sagt: „Wir möchten nicht, dass Du entmutigt bist!“.
Ich fahre mit einem guten Gefühl. Unser haitianisches Team wird ohne meine direkte Anwesenheit gut weitermachen!
Claire Höfer