Interview mit Myklave, einem Jungen aus dem Heim der HKH zu seinem Land Haiti und anderen Ländern, zu seinen Zukunftsplänen und Hoffnungen…

(Juli 2017) Ein  Brief von Myclave E., einem Jugendlichen mit 19 Jahren, der als kleiner Junge zur HKH kam und der von seinem Land Haiti und seinen Zukunftsplänen spricht.

Nachdem die Mutter gestorben war, brachte der Vater ihn als kleiner Junge zusammen mit seiner großen Schwester und einem kleinen Bruder ins Heim, hinterließ keine Adresse  und wurde nie mehr gesehen.

Myclave ist beim Erdbeben von Januar 2010 verschüttet gewesen: er lag 30 Stunden unter den Trümmern seines Heims. Er lag eingeklemmt und unter ihm lag der Heimleiter, der während dieser Stunden einen qualvollen Tod starb. Sein kleiner Bruder starb unter den Trümmern. Claire Höfer hat sich nach dem Erdbeben um die Jungs gekümmert, die verschüttet gewesen waren und versucht, ihnen zu helfen, diese schrecklichen Erfahrungen zu bewältigen. Myclave hat damals oft und lange mit ihr geredet. Er war wie mehrere von seinen Freunden verletzt und wurde jeden Tag von einem deutschen Arzt behandelt. Alle haben gestaunt darüber, wie tapfer diese Jungs die schmerzhafte Behandlung ihrer Wunden ausgehalten haben und wie gut sie sich erholt haben.

Sie haben drei Wochen gebraucht, um sich zu trauen, wieder ein Haus zu betreten. 

Dass Myclave (und die anderen auch) seine traumatische Vergangenheit so gut bewältigt hat, erstaunt uns immer wieder. Sie haben eine erstaunlich Resilienz bewiesen.

Myclave kommt im Herbst 2017 in die vorletzte Gymnasiumklasse. Er ist ein guter Schüler.

Er ist sicher einer der wenigen, die die Fähigkeit haben, später zu studieren. Er hat viel Humor. Er ist im Heim beliebt und hat da mehrere sehr gute Freunde, sie sind wie Brüder. Er spielt sehr gern und gut Fußball und lernt Gitarre.

Yohann, der Freiwillige, der seit zehn Monaten in Port-au-Prince in den Heimen der HKH arbeitet, hat das Interview am 6. Juli 2017 auf Französisch durchgeführt (bei der Übersetzung ins Deutsche haben wir  versucht, so dicht wie möglich an Myclaves eigener Ausdrucksweise zu bleiben. Kurze Erklärungen sind kursiv in Klammern hinzugefügt worden).

 Yohann: An was denkst Du, wenn man die Straßenkinder von Port-au-Prince erwähnt?

Myclave: Es gibt viele davon, die die Fähigkeit haben zu lernen und die nicht die Chance haben, es zu tun. Hier in Haiti gibt es viel Ungleichheit. Das ist schlecht, denn die Kinder können jede Art von Dummheit in jedem Augenblick begehen.

Yohann: Als wir an dem Text „Sleeping Rough in Port-au-Prince“ gearbeitet haben, hast du gesagt, dass die Kinder, die draußen schlafen, vielen Gefahren ausgesetzt sind. Warum?

Myclave: Die Kinder können Gewalt und Vergewaltigung erleiden. Sie können alle Formen der Gewalt erleiden. In finanzieller Hinsicht haben sie kein Geld. Wenn sie die Fenster eines Autos waschen, fahren die meisten Fahrer dann einfach weg. Manche geben fünf Gourdes (ungefähr 0,07€), zehn Gourdes, obwohl es Arbeit gewesen ist, die Fenster zu putzen. Man stellt sie abseits der Gesellschaft, so als ob sie nicht ein Teil davon wären. Für die Mädchen gilt, sie können  auch sexuelle Gewalt erleiden.

Yohann: Du bist sehr interessiert an Musik und an Sprachen, besonders Englisch. Warum? (Myklave lernt Gitarre und ist unter anderem ein sehr guter Rap-Dichter und -Sänger)

Myclave: Ich liebe Musik. Die Musik ist Teil meines Lebens. Ich liebe die Musik sehr, auch wenn meine Eltern keine Musiker waren. Über die Musik kann man Botschaften überbringen, die Gefühle der Gesellschaft übersetzen. Man kann sagen, wie man die Gesellschaft sieht, wie man unsere Führungspersönlichkeiten sieht. Das ist es, was mir Lust gemacht hat, Botschaften zu überbringen, und Musik, das ist die beste Gelegenheit für mich, es zu  machen. Dennoch mag ich nicht, wenn die Musik nur dazu dient, berühmt zu werden. Ich liebe Englisch, weil es eine Geschäftssprache ist. Die Mehrheit der Länder spricht Englisch. Das motiviert einen, es zu lernen.

Yohann: Kannst du mir in einigen Worten sagen, was jede der folgenden Sprachen für dich repräsentieren?

Myclave: Das haitianische Kreolisch?   Das ist meine Muttersprache.

Französisch?   Das ist fast meine Muttersprache, aber da Frankreich uns kolonialisiert hatte, sind wir gezwungen, Französisch zu sprechen. Wir haben also zwei Sprachen: Kreolisch und Französisch.

Spanisch?   Ich würde es gerne lernen – ich würde gern mehr als sieben Sprachen sprechen – auch wenn es schwierig ist.

Deutsch?   Das ist sehr schwierig. In Haiti sind die Leute, die Deutsch sprechen, nicht sehr zahlreich. Ich würde es gerne lernen, aber es ist nicht sehr notwendig. Man lernt eine Sprache wegen der Leute, die an unserer Seite leben.

Chinesisch?   (lacht) Das ist nicht möglich. Ich verstehe nichts.

 Yohann: Was denkst du über die Ausbildung, die du in der Taubstummensprache machen wirst, was wird sie dir bringen? (Myklave wird die Taubstummensprache lernen, um in Schulen für Taubstumme unterrichten zu können)

Myclave: Das ist eine sehr große Chance, denn Madame Claire hat Kontakt mit Kanadiern und Kanadierinnen, die mir Arbeit geben können. Ich möchte den stummen Kindern helfen, die abseits stehen von der Gesellschaft, die nicht sprechen können. Sie haben keine Bildung bekommen.

Yohann: Welches sind die fünf schönsten Trümpfe deines Landes?

Myclave: Da ist die Zitadelle von Ferrière  (Myklave dachte am Anfang, die fünf schönsten Orte aufzählen zu müssen), unsere Kultur, die Musik, unsere Landschaften und die Sonne, die wir haben, denn viele Länder haben sie nicht.

Yohann: Welches sind die fünf größten Veränderungen, die deinem Land gebracht werden müssten ohne von Politik zu sprechen?

Myclave: Es sind die Straßen, also die Verkehrsverbindungen, die Produktion von Nahrung, denn die Mehrheit der Bevölkerung hat nichts zu essen, die Sauberkeit der Straßen. Wenn ich Präsident der Republik wäre oder ein Mitglied des Staates, würde ich den Verkauf von Produkten aus Plastik verbieten – zum Beispiel die Wassertüten (in Haiti wird auf den Straßen überall Trinkwasser in kleinen Plastikbeuteln verkauft, die ca. ein Glas Wasser beinhalten )  – denn das ist die erste Ursache der  Umweltverschmutzung. Man müsste auch die Art ändern, wie man die Schulen baut und die Erziehung aufbaut: das wäre die erste Veränderung, die man machen müsste. Alle möchten gern eine Schule haben. Manchmal gibt es nicht einmal einen Raum für die Kinder. Die Schulen müssten Labore haben, damit die Kinder leichter lernen können.

Yohann: Welchen Traum würdest du gern erfüllen?

Myclave: Ich möchte mein Land in jeder Beziehung  blühen und erfolgreich sehen. Ich hätte gern, dass alle Bürger das Gesetz beachten, und die anderen Menschen respektieren. Ich möchte in Harmonie leben, sogar in Frieden, auch wenn das nicht leicht wäre.

Yohann: In einigen Worten: was repräsentieren für dich …

Myclave: Port-au-Prince?   Das ist ein Geschäftsort für die Haitianer, für die Leute vom Land.

Jacmel? (unmittelbare schnelle Antwort)    Das ist ein touristischer Ort.

Cuba?   Viele Haitianer fahren dorthin, um Medizin zu studieren. Cuba repräsentiert eine Hoffnung.

Die Vereinigten Staaten?   Die repräsentieren viel für die Haitianer. Die meisten wollen sich dort niederlassen, um dort Arbeit zu finden, dort ihre Kinder großzuziehen, Geschäfte machen in dem Land.

Frankreich?   Ich verbinde es mit Bildung. Die meisten Bücher sind in Frankreich produziert (die Buchhandlungen, die er mit Yohann besucht hat, sind fast ausschließlich mit Werken in Französisch, mit französischen Ausgaben bestückt). Wenn man die Literatur studiert, studiert man fast Französisch.

Deutschland?   Das ist die Haiti Kinder Hilfe. Wir verdanken den Leuten der HKH, dass wir da sind, wo wir sind, sie helfen uns viel. Das sind unsere Mütter.

Cap-Haitien und die Dominikanische Republik waren auch auf der Liste, aber Myklave hatte keine Worte für die zweitgrößte Stadt des Landes noch für das Nachbarland.

Yohann: Was braucht man, um in Haiti ein gutes erfolgreiches Leben zu haben?

Myclave: Alle wissen, dass man zuerst Bildung braucht. In Haiti kann man mittelmäßig sein und man findet doch die besten Plätze, und selbst wenn man etwas drauf hat, begabt ist, kann man arm sein.  Das ist ein Land, das verkehrt herum ist. Man kann zu essen haben in Haiti, aber nicht wirklich Erfolg haben.

Yohann: Welche Botschaft der Hoffnung  möchtest du den Lesern mitgeben, die dein Interview lesen?

Myclave: Man muss immer hoffen, auch wenn die Dinge heute nicht gut laufen, vielleicht laufen sie in einigen Jahren. Man kann immer hoffen, dass Gott uns eine Respekt verdienende Person schickt, der das Land wichtig ist und nicht ihre Angehörigen, ihre Familie, etc… (Myclave denkt da an die vielen korrupten Politiker, die anstatt das Beste für das Land und die Bevölkerung zu wollen und zu tun, nur ihre Familien und sich selbst bereichert haben)

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