Hilfe für Kinder, die bei Verwandten oder anderen Privatpersonen Zuflucht gefunden haben, und einige allgemeine Gedanken

 

Wir treffen einige Mädchen und Jungs, die wir persönlich sprechen wollen, um genauer zu erfahren, warum sie plötzlich auf der Straße gelandet sind oder warum ihre Ausbildung unterbrochen wurde und wie es ihnen jetzt geht. Zwei der Jungs, zwei Brüder, leben bei ihrem Onkel. Wir besuchen sie dort. Wir parken das Auto in einem reichen Villenviertel der Stadt, überqueren ein Flussbett, in dem Ziegen im Müll wühlen. Keine 150 Meter von den schönen, von hohen Mauern umgebenen Grundstücken wohlhabender Haitianer liegt eines der zahlreichen Armenviertel mit engsten Gassen zwischen unverputzten, aus Hohlblocksteinen dürftig hochgezogenen Häuserreihen. Verrostete Betoneisen ragen aus den betonierten Flachdächern. Ein kleines, fensterloses Zimmer mit altem Teppichbodenrest und einem Tisch dient den Jungs als Bleibe. Sie hätten gern eine Matratze. Der ältere von den beiden steht kurz vor dem ersten Abitur. Er ist der beste seiner Klasse und auch noch Klassensprecher. Er bemüht sich sehr und will der beste bleiben. Er möchte Jura studieren „um Menschen zu helfen, denen Unrecht geschehen ist“. Der Onkel arbeitet in einer Bäckerei und verdient kaum genug für seine eigenen acht Kinder. Sehr nett von ihm, dass er sich um die zwei Jungs kümmert. Die „Haiti Kinder Hilfe“ wird sie (und ihn) nicht im Stich lassen.

Ähnliches gilt für mehrere große Mädchen und junge Frauen, die zu uns ins Mädchenheim kommen, um zu sehen, wie sie Schule, bzw. Berufsausbildung abschließen können. Sie schlagen sich sehr tapfer durch.

Da viele der Kinder, die in unserer Obhut sind, schon Jugendliche sind (vier von ihnen machen im
Sommer Abitur), versuchen wir mit ihnen über ihre Zukunft nachzudenken und Pläne für geeignete Ausbildungen zu machen. Es ist eine anspruchsvolle, oft schwierige Arbeit. Viele haben „hohe“ Wünsche: Agronom, Rechtsanwalt oder Ärztin werden… und längst nicht alle haben die Fähigkeiten dazu. Man muss sie zu einer realistischeren Sicht bringen, ohne sie zu entmutigen oder ihnen den Schwung zu nehmen. Dazu kommt, dass es im Moment in Haiti alles andere als einfach ist, jungen Leuten zu einem guten Auskommen zu verhelfen.

Diese Erfahrungen lehren uns, dass Haiti nur über eine Erziehung geholfen werden kann, bei der man konsequent Qualität vor Quantität setzt. Es scheint uns richtig, dass man in extremen Notsituationen natürlich versuchen muss, möglichst vielen Menschen zu helfen. Die „Haiti Kinder Hilfe“ sieht jedoch ihre künftige Aufgabe darin, dass die Kinder und Jugendlichen eine so solide Erziehung und Ausbildung bekommen, dass sie wirklich Gutes im Leben leisten können. Das soll nicht heißen, dass alle ein Universitätsstudium absolvieren sollen. Diese Schlussfolgerung wäre sicherlich falsch. Was Haiti braucht, sind Leute, die wissen, was sie wollen, die auch die Begabung dafür mitbringen und die gelernt haben, wie man Gewolltes in die Tat umsetzt. Wer das Zeug hat zum Handwerker oder zur Handwerkerin, sollte genau das tun können und zwar auf kompetente Weise. Und wer Begabung und Wille hat, ein Studium zu absolvieren, soll dies tun können.

Wir werden auch Wege öffnen, dass jene, die durch die „Haiti Kinder Hilfe“ einen Beruf erlernen konnten oder eine Ausbildung erhielten, der „Haiti Kinder Hilfe“ auch etwas dafür zurückgeben. Wir denken an eine Zeit, die sie der „Haiti Kinder Hilfe“ nach ihrer Berufsausbildung gegen geringe Bezahlung zur Verfügung stellen, dies aber nicht, indem man sie in innerer oder äußerer Abhängigkeit zu halten versucht, sondern klar vertraglich geregelt. Hier ist noch Klärungs- und Organisations- bedarf.

Gespräche mit Leitern anderer Hilfsorganisationen bestätigen uns in dieser Sicht. Nicht wenige Haitianer sind in der Gefahr, den Willen zur Eigeninitiative zu wenig zu entwickeln, weil sie lernen, sich darauf zu verlassen, dass schon irgendeine Hilfsorganisation kommen wird, die sie mit Gewünschtem versorgt. Ein Beispiel: Eine Hilfsorganisation hat haitianischen Fischern zu Fischereibooten verholfen. Eine Haitianerin hat sich daraufhin gedacht, dass diese Fischer sicherlich auch das für diese Tätigkeit nötige Zubehör brauchen werden. Sie hat sich Geld geliehen und ein Geschäft für die entsprechenden Gerätschaften aufgemacht. Niemand kam, niemand kaufte bei ihr ein. Sie erforschte warum: all die Fischer warteten, bis ihnen jemand auch das Zubehör schenken würde! Das sagten sie ihr ganz klar.

Kommentare sind geschlossen.