Haiti Hautnah

Ein Bericht über den Besuch von Sonja Wanner (Lehrerin am Gymnasium Gröbenzell)
in Cap Haitien im März 2016

vor dem UnterrichtUnser Patenprojekt mit der haitianischen Schule Notre Dame de la Medaille Miraculeuse in Cap Haitien besteht nun seit 11 Jahren. Die Schule mit etwa 400 Schülern – davon circa 80 Waisenkinder – wird von Madame Leconte seit der Gründung vor mehr als 20 Jahren geleitet.

Unsere Klassen haben dieses Jahr  für 27 Patenkinder insgesamt € 8.716,95 gespendet. Die Beträge für die Versorgung eines Kindes für ein Jahr sind nach 10 Jahren das erste Mal erhöht worden. Nun kostet es € 300, um die Schulgebühr für ein haitianisches Kind und ein warmes Mittagessen für ein Jahr zu bezahlen. Besonders die Kosten für Lebensmittel aufgrund des hohen Dollarkurses (in Haiti wird alles in Dollar abgerechnet) sind stark gestiegen. Einige Klassen – dabei sind besonders die 5. und 9. Klassen hervorzuheben – schafften es, ein eigenes Patenkind zu finanzieren, manche Klassen „teilen“ sich ein Patenkind. Unsere Oberstufe finanziert zwei  haitianische Oberstufenschüler. Kervens und Manlyne werden schon seit vielen Jahren von Gröbenzell unterstützt und haben es geschafft, in eine weiterführende Schule aufgenommen zu werden. Sie sind beide sehr motivierte und fleißige Schüler.

Die Gröbenzeller Klassen bekamen im neuen Jahr Briefe, Zeichnungen und Bilder ihrer Patenkinder. Soweit das übliche Prozedere. Dieses Jahr konnte der Kontakt noch erweitert werde, da ich nach vielen Jahren Abwesenheit die Gelegenheit hatte, Haiti und unsere Patenschule in den Osterferien 2016 zu besuchen.

Collage1Mit einem Packen Briefe und Photos von unseren Klassen stattete ich unserer Patenschule einen Besuch ab und war von der Herzlichkeit, mit der ich aufgenommen wurde, begeistert. Ich konnte 26 unserer 27 Patenkinder interviewen und ihnen die Briefe und Bilder ihrer Patenklassen übergeben. Die haitianischen Schüler freuten sich unheimlich, Nachricht aus Deutschland zu bekommen. Manche setzten sich noch am gleichen Tag hin und schrieben ihrer Klasse zurück oder malten kreative Bilder. Ich habe diese Briefe gerne mitgenommen und an die Klassen verteilt.

Es gab auch Kinder, deren Patenklasse keinen Brief geschrieben hatte. Die Haitianer waren sehr enttäuscht. Sie haben praktisch keinen Kontakt zur Außenwelt und eine Nachricht aus dem fernen Deutschland ist etwas Besonderes für sie. Die meisten fehlenden Briefe wurden dann nachgeschickt und alles war gut.

In Interviews erzählten die haitianischen Schüler aus ihrem Leben. Die meisten nehmen die Schule sehr ernst, lernen fleißig und machen ihre Hausaufgaben. Die Lernmethoden sind – nach unseren Standards – äußerst altmodisch: es wird auswendig gelernt, wenig Wert auf selbständiges Arbeiten oder kritisches Denken gelegt. Die haitianischen Kinder haben nach der Schularbeit aber nicht frei. Es ist eine Selbstverständlichkeit, im Haushalt zu helfen. Die Kinder sind immer super sauber angezogen, das Waschen der Schuluniformen übernehmen sie selbst, ohne Waschmaschine versteht sich. Auf elektronische Medien können die Kinder in den seltensten Fällen zugreifen. Strom ist sehr teuer und viele Eltern können sich diesen nicht leisten. An unserer Patenschule gibt es jeden Tag 3 Stunden Strom für die wichtigsten Arbeiten. Es ist ein Solarprojekt geplant, die Panele dazu sind sogar schon da, aber jetzt muss Geld aufgetrieben werden, um die teuren Speicherakkus kaufen zu können.

Ein großer Teil der von uns betreuten Patenkinder sind Waisen, die auf dem Schulgelände leben. Ihnen stellte ich keine Fragen zur Familie. Dashka, Stanley oder Stevenson – drei Kinder, die in die Grundschule gehen  und von unseren 5. Klassen versorgt werden – haben keine Eltern. Sie wurden als Babies oder Kleinkinder ausgesetzt oder von der Schulleiterin von der Straße aufgelesen.

Ich konnte auch ein wenig über andere Schicksale erfahren. Da ist z.B. Walkins ( von 8d betreut). Er ist so um die 18, genau weiß das niemand. Er geht in die 7. Klasse, weil er erst vor wenigen Jahren mit der Schule angefangen hat. Er hat in der Hauptstadt Port-Au-Prince gelebt, ging dort nicht in die Schule und als 2010 das Erdbeben kam, flüchtete er aus der zerstörten Stadt in den Norden und wurde von unserer Patenschule aufgenommen, da war er ungefähr 12. Er ist ein eifriger Schüler geworden und hat gestrahlt als er das Photo „seiner“ Klasse in den Händen hielt.

Oder da ist Jenny (betreut von 9c), ein 14-jähriges, stilles Mädchen, dessen Vater sich allein um sie und ihre Schwester kümmert, da die Mutter einfach verschwunden ist. Der Vater ist Nachtwächter und verdient 2 Dollar am Tag, zum Leben eigentlich zu wenig und definitiv zu wenig, um das Schulgeld bezahlen zu können. Ich durfte die Behausung von Jennys Vater kennenlernen. Es ist ein winziger Verschlag mit einer Matratze am Boden und einer kleinen Feuerstelle. Zum Waschen nimmt der Vater einen Eimer mit Wasser, geht hinters Haus und schüttet sich den Eimer über den Kopf. Jenny ist im Augenblick bei Verwandten untergekommen, weil sein Zimmer viel zu klein ist.

Schwester GodlieveSchicksale wie diese lassen mich sehr dankbar sein, dass unsere Schule zumindest einen kleinen Teil dazu beiträgt, dass haitianische Kinder eine Chance im Leben bekommen.

Die Schule ist eine kleine Enklave in einem krisengeschüttelten Land. Die Schulleiterin ist sehr engagiert und hat auch einige junge und kompetente Lehrkräfte mit an Bord, die sie unterstützen. Weitere Unterstützung kommt aus dem Ausland. Im Augenblick befindet sich die belgische Administratorin Oriane für zwei Jahre in Haiti. Sie bemüht sich um Spendengelder, um die vielen noch anstehenden Projekte finanzieren zu können. Es ist eine Krankenstation geplant und die schon oben erwähnte Solaranlage soll in Betrieb genommen werden. Die französische Grundschullehrerin Marie-Elise, für ein Jahr an der Schule, kümmert sich mit Herzblut um die Kleinen.

BibliothekWas zusätzliche Spenden erreichen können, zeigt das sehr schöne Beispiel der neuen Bibliothek an unserer Patenschule. Unser Gymnasium hat letztes Jahr zusätzlich € 1.500 (aus P-Seminaren und Adventsmarkt) gesammelt und die Einrichtung einer Bibliothek finanziert. Diese wird von den haitianischen Kindern sehr gut angenommen, sie sind richtige Leseratten. Es gab sogar im Februar diesen Jahres einen Lesewettbewerb. So können kleine Spenden auch kleine Wunder bewirken.

Ich möchte mich noch einmal bei allen Mitwirkenden und Unterstützern bedanken und mit dem Satz enden, den mir Monsieur Moreau, ein Mitarbeiter in der Schulleitung, mit auf den Weg gegeben hat: „Glauben Sie mir, Ihre Hilfe ist sehr wichtig. Es ist schön zu sehen, dass es Menschen gibt, die anderen helfen, ohne sie persönlich zu kennen. Mein großer Dank gilt allen Kindern in Deutschland, die unseren Brüdern und Schwestern in Haiti helfen.“

 

 

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